Ein schnelles Kajak, gibt es das?
Es wird immer wieder nach schnellen Booten gefragt. Dabei wird aber selten oder eher nie eine Definition für "schnell" angegeben. Eigentlich sollte man hingehen und denen, die danach fragen sofort die aktuellen Rennboote, Searacer, Multisportkajaks und Surfski ans Herz legen, die bei Wettkämpfen, Meisterschaften und Olympischen Spielen auf die vordersten Plätze fahren. Wenn sie in den Booten sitzen sollten sie doch sicher genauso schnell unterwegs sei. Oder zumindest deutlich über 10 Stundenkilometer (im Wasser ohne Strömung einzurechnen) fahren, was im Kajak sicher als "schnell" bezeichnet werden darf.
Ist das denn so einfach?
Nein!
Grade an diesem Punkt wird jeder, der nach einem schnellen Kajak fragt, sehr schnell feststellen, dass nicht das Boot, sondern der Sportler den Wettkampf gewinnt. Setzt sich ein untrainierter Paddler in eins der Siegerboote beginnt schon beim Ablegen das Problem nicht sofort zu kentern. Kentert der Paddler nicht sofort haben viele trotzdem erst mal erhebliche Probleme Kontrolle über das Boot zu halten. Oft sieht es eher danach aus, als beherrsche das Boot den Paddler. Und auch, wenn die Beherrschung des Bootes garnicht das Problem darstellt und der Paddler sich über den leisen ruhigen Lauf erfreut wird er schnell enttäuscht, wenn er mit anderen in vergleichbaren oder sogar faktisch unterlegenen Booten nicht mehr mithalten kann.
Sicherlich ist es richtig, dass ich in unterschiedlichen Booten auch unterschiedliche Geschwindigkeiten erreiche. Ich werde auch nicht mit einem Wildwasserkajak die Aller Hochwasserrally von Celle bis Verden fahren, weil das Tempo, das ich mit dem Boot erreiche, nicht ausreicht in einer vernünftigen Zeit oder überhaupt an einem Tag anzukommen. Doch liegt das an dem Boot oder an der mir zur Verfügung stehenden Kraft, die ich in das Wasser bringen kann?
In dem Fall würde ich einfach sagen, dass Boot, Strecke, Gewässer und Zeit einfach nicht mit dem Paddler und seinen Erwartungen übereinstimmen. Das liegt aber nicht daran, dass das Boot langsam ist. Sicher kann ich mit einem schlanken langen Wanderboot schneller unterwegs sein, das liegt aber doch nicht daran, dass es schnell ist. Es liegt doch daran, dass es bei der Kraft, die ich umsetzen kann, schneller läuft. Hätte ich die Kraft das Wildwasserkajak von der Verdrängung zum Gleiten zu bringen, dann hätte dieses einen enormen Vorteil, denn für das längere Wanderboot bräuchte ich dazu nochmal deutlich mehr Kraft, das zu erreichen. Doch daran ist nicht zu denken, die Kraft bringt kein noch so trainierter Paddler auf. Wie eine solche Fahrt aussähe kann man auf zahlreichen Videos im Netz sehen, wo in kürzesten Stummelkajaks auf schnell fließenden Wasser eine stehende Welle befahren wird (Park & play). Wäre das Boot wirklich so langsam wie die, die meinen es gibt schnelle Boote, sagen, könnte das Boot nicht in der Welle gehalten werden. Dafür ist die Fließgeschwindigkeit des Wassers zu hoch.Wie schnell also ein Kajak ist liegt einmal daran, wieviel Kraft zum Vortrieb verfügbar ist, welchen Widerstand er im Wasser hat und welche Bedingungen außerdem noch vorherrschen. Außerdem geht es auch darum, wie viel Kontrolle der Sportler über sein Sportgerät hat.
Also ist das Tempo, das erreicht werden kann, abhängig von der Kombination Sportgerät, Sportler und Bedingungen.
Wenn ich mal das Augenmerk darauf halte, wer allgemein nach schnellen Booten fragt und was als "schnelles Boot" betrachtet wird, dann gibt es dabei zwei ganz große Probleme. Das eine ist die Fähigkeit das lange und schmale Kajak zu beherrschen, das zweite ist noch die Kraft aufzubringen, die dem Boot tatsächlich einen Vorteil verschafft. Schaut man dabei auf das Tempo, das von einem durchschnittlichen Freizeitpaddler gefahren wird, ist ein langes schnelles Boot noch garnicht unbedingt im Vorteil. Der Kraftaufwand steigt nicht mehr so schnell an, wenn man noch weiter beschleunigt, aber er kann in dem Moment, da ein Durchschnittspaddlern sein Reisetempo erreicht, "langsameren" Booten gegenüber im Nachteil sein. Es hilft halt wenig, wenn man immer an seinem Limit fährt um bei einer Gruppe mitzuhalten, wenn man auf ein "schnelles Boot" umsteigt. Die mögen im Sprint auf kurzen Strecken helfen, auf Dauer, bei mehrstündigen Touren, hilft es überhaupt nicht. Dann besteht oftmals noch das Problem der Bootsbeherschung, die einen solchen untrainierten Paddler mit dem Boot überfordert. Ich habe schon häufiger, grade auf Salzwasser, gesehen, dass Leute vollkommen angespannt im Boot saßen. Die Anspannung im Körper lässt sie mehr Kraft auf das Sitzen als auf das Vorwärts kommen verwenden und somit kommen sie kaum noch vorran, ohne dass tatsächlich problematische Verhältnisse bestehen.
Ich selber bin früher auch davon ausgegangen, dass es schnelle und langsame Kajaks gibt. Heute bin ich von dieser Einstellung abgekommen, da das Boot zwar ein Faktor ist, aber genau betrachtet eigentlich nur einen geringen Einfluß auf das Tempo hat. Im Herbst steige ich von meinem Searacer immer auf mein Tourracer um, weil dieser nicht das ganze Laub am Steuer sammelt. Dann teste ich seit kurzem eine App, die GPS-Tracks aufzeichnet. Mit dem Searacer bin ich dieses Jahr ca. 4 Minuten langsamer als zuvor auf meiner Standartstrecke, weil das Mühlenwehr unterhalb unseres Vereins marode ist und um ca. einem Meter abgesenkt wurde. Mit dem deutlich kürzeren Tourracer habe ich festgestellt, dass ich kaum noch langsamer bin als mit dem langen Boot. Bei genauerer Betrachtung des aufgezeichneten Tracks ist festzustellen, dass ich mit dem kürzeren und leichteren Boot sehr viel stärker beschleunigen kann, wenn es mal kurzzeitig bei Untiefen oder starken Kurven langsamer wird. Auch schaffe ich es auch nach einer Stunde noch den Tourracer für einen Sprint deutlich über mein Durchschnittstempo zu beschleunigen. Beim längeren Searacer ziehe ich gleichmäßiger durch, schaffe es am Ende aber auch nicht mehr wesentlich zu beschleunigen. Im Training hat mir das eine Minute gebracht, bei einem Rennen hätte ich aber wahrscheinlich sogar mit dem faktisch langsameren Boot einen Vorteil. Außerdem konnte ich feststellen, dass auch das Paddel deutlichen Einfluss nimmt, denn mit meinem großen Paddel war ich noch mal einiges langsamer. Aber auch das wird sich eventuell bei großer Wassertiefe, wenig Kurven oder kurzen Strecken wieder umkehren lassen.
So, das zu meinem Problem zum Begriff "schnelle Boote". Die Geschwindigkeit wird immer von Sportgerät ( Boot und Paddel), Sportler und äußere Bedingungen beeinflusst, wobei der Sportler meistens den Hauptanteil dabei hat. Wer das nicht einsehen will, der versucht, nach meiner Meinung, an der falschen Stelle, das Problem zu beheben. Und wer bei sich selber beginnt, der braucht das schnellere Boot für die Tour nicht mehr.
Ich gebe aber auch zu, wenn man es trainiert und auch mal das ein oder andere Rennen mitfährt, machen diese "schnellen Boote" auch Spass. Aber grade dann merkt man es, dass Sieg oder Niederlage nicht vom Boot abhängig sind.
Einen schönen Gruß aus Münster,
Ulf