Ahoi!
Was war passiert da auf der Kieler Förde?
Der Donnerstag, 18.1.18, war kein normaler Tag. Deutschland wurde vom Sturmtief „Friederike“ heimgesucht, was die Bundesbahn dazu veranlasste, sicherheitshalber die Fernzüge nicht mehr durch Deutschland fahren zu lassen. Auf dem Brocken wurden Orkanböen bis 150 km/h gemessen. Im Norden war es jedoch nicht so kritisch. Vormittags wehte es lt. WINDFINDER.de z.B. in der Kieler Innenförde noch mit 3-4 Bft. aus südöstlich, später nord-östlicher Richtung. Erst ab 12.30 Uhr nahm der Wind zu und wehte dann mit 5 Bft. aus nord-östlicher Richtung bis kurz vor 15.30 Uhr. Draußen am Kieler Leuchtturm blies es jedoch zur gleichen Zeit mit 6 Bft. aus Nord-Ost (in Böen: 7 Bft.). Die Wasserschutzpolizei selber sprach von 8er bis 9er Böen auf der Innenförde. Zwischen 10 Uhr und 15 Uhr sanken die Lufttemperaturen auf +1° bis 0° C und die Wassertemperaturen lagen lt. Institut für Meereskunde/GEOMAR bei +1°C und lt. WINDFINDER.de bei +3,5°C:
(Kieler Förde)
(Windmesswerte)
Auch für Eckehard, ein erfahrener Kieler Küstenkanuwanderer, waren das raue Bedingungen, aber nicht ungewöhnlich für ihn und seine Mitpaddlerin. Kurz vor 14 Uhr paddelten beide von ihrem Bootshaus in der Innenförde die Förde hinaus bis zum Wendepunkt in der Nähre des U-Boot Ehrenmals Möltenort , Tonne 12.
Zur Ausrüstung: Er paddelte einen „Nordkapp LV“ (540x53 cm) von VALLEY und sie ein bei achterlicher See besonders schnelles Kajak von REBEL: „Big Dog“ (540x57 cm). Er trug einen Trockenanzug mit Latexhalsmanschette , genügend
Unterbekleidung (bestehend aus Polypropyläen (CRAFT) plus 200-er Polartec-Unterziehkombi, lange AQUASHELL-Hose), Faserpelz-Kopfhaube und Wintermütze mit Ohrenklappen – alles in leuchtend gelb - sowie dicke Paddelpfötchen. Dazu kam eine auf Halbautomatik geschaltete 17kp rote Rettungsweste mit gelben breiten aufgenähten retroreflektierenden großen Streifen auf Brust und am Rücken in SOLAS-Qualität. Diese Weste der Marke BALTIC schaltet bei Auslösung eine innere Beleuchtung ein, so dass der gesamte Auftriebskörper wie ein heller gelber Gasballon leuchtet! Griffbereit, aber gesichert, hatte er einen PRIJON-Rollsack mit Griff, der als Paddelfloat geeignet ist. Darin befanden sich zwei große Rauchfackeln, eine Fallschirmseenotrakete und ein wasserdichtes Funkgerät (mit AIS-Distress-Taste und GPS) in schwimmfähiger Ausführung. In der Mesh-Tasche der Spritzdecke hatte er ein wasserfestes Tag/Nacht-Signal, an deren einem Ende eine kleinere Rauchfackel und am anderen ein Magnesium-Rotlicht integriert ist. Auf dem Deck fuhr er eine Seenotbake der Marke AQR „Aquarescue“ (mit GPS-Positionsübertragung und
Seefunkbakenfunktion für die Anpeilung), registriert bei der RNLI in London. Der Text, der dazu in London hinterlegt war, führte aber letztlich dazu, dass Eckehard es zunächst nicht einzusetzen gedachte, da dort seine Fahrtleiter- und Ausbilderfunktion vermerkt war und die Zahl der Mitpaddler mit bis zu weiteren 6 Personen angegeben war, was u.U. hätte dazu führen können, dass „Großalarm“ ausgelöst worden wäre.
6 km gegen Wind & Wellen: Zunächst paddelten die beiden Kanuten gegen den Wind und gegen die Welle. Als Wind & Wellen inmitten der Heikendorfer Bucht vor der Tonne 12 immer mehr zunahmen, hielt die Mitpaddlerin an und meinte, dass die 6 km Streckepaddeln für heute genügen müsse. Daraufhin begannen beide, zurück zu surfen.
„Surfing as usual!“: Das waren Gewässerbedingungen, bei denen jeder genug mit sich selber zu tun hatte, aber die schon so oft von beiden erlebt wurden, sodass keiner Bedenken haben musste, dass der andere bei diesen Bedingungen an seine „Grenzen“ stoßen würde. Also paddelte jeder vor sich hin. Jeder mit sich selbst und den überholenden Heckseen beschäftigt. Den Überblick konnte – immer bloß mal ganz kurz, augenblicksweise – nur der hinten fahrende Kanute behalten. Selbst beim Nebeneinanderherpaddeln kann man seinen Mitpaddler nicht mehr konstant im Auge behalten. Alle Aufmerksamkeit galt jetzt den von hinten anrauschenden Brechern und den manchmal quer dazu eintrudelnden Heckwellen vorbeifahrender Schlepper. Nur die Wahl der passenden Paddelschläge (einer Mischung aus Vorwärts-, Stütz- und Heckruderschlägen) musste reflexartig erfolgen; denn bei diesen Bedingungen galt es auf alle Fälle zu vermeiden, dass das Seekajak „ausbricht“ und quer zu den Brechern treibt. So kam es, dass Eckehards Mitpaddlerin nichts ahnend vorauspaddelte und die Surfritte genoss, aber auch die Brecher parieren musste, wenn das Kajak immer mal wieder den Wellenhang hinuntergerutscht war und quer zu den Wellen zu treiben kam. Halb genoss sie den Sport, halb verfluchte sie ihn, denn es war alles kraftraubend und mitunter heikel, denn die Rolle konnte sie noch nicht und das verunsicherte sie auch nicht, denn noch niemals war sie, auch nicht im Poloboot oder im Wildwasserboot, unfreiwillig gekentert. Ja, das Ganze war eine sehr sportliche Angelegenheit. Zeitweise gleiteten sie im Highspeed-Surf. Dann bricht das Boot aus, bremst ab.
Sie mussten die Brecher dann durch Stützen parieren und immer wieder das Seekajak mit viel Krafteinsatz auf den Kurs bringen, bis der nächste Surf beginnt.
Palette von achtern: Wie beide es gewohnt waren, baute sich eine zunehmende Distanz zwischen ihnen auf. Zudem musste Eckehard etwas Fahrt aus seinem Kajak nehmen; denn in Höhe Kitzeberg schwammen im Seegang allerhand Treibholz & Planken und grosse frisch gesägte Obstbaumteile vermutlich dänischer Provenienz herum und denen galt es auszuweichen. Plötzlich spülte inmitten der Brecher die Hecksee eines achterlich querenden Schleppers eine Holzpalette auf sein Achterdeck. Der Aufprall war so ungünstig, dass der ovale Lukendeckel von VALLEY sich löste und verloren ging. Hätte Eckehard nun die Ränder seines Valleydeckels - wie es empfohlen wird - sorgfältig in die Dichtkante „einmassiert“, wäre vielleichte nichts passiert, aber im Winter ist das eine mühsame, Fingernägel brechende Angelegenheit. Also verzichtet er darauf, zumal dadurch die Wasserdichtigkeit dieses Deckels nicht gefährdet war.
Wassereinbruch: Zunächst bemerkte Eckehard nicht den Verlust dieses Deckels, bis er feststelle, dass die Surfritte zunehmend langsamer wurden und schließlich ausblieben. Die Geschwindigkeit nahm rapide ab. Über die offene Achterluke begann sich der ca. 85 Liter umfassende hintere Stauraum seines 3-fach abgeschotteten Seekajaks schnell zu füllen. Auf halbem Wege zwischen der Tonne 4 und der 5 inmitten der Förde, etwa querab des Ostuferkraftwerkes, sackte schließlich das Heck ab und der Bug neigte zu Kerzen. Trotz alledem paddelte Eckehard weiter, nur brachte das keinen Streckengewinn in Richtung des nächstgelegenen Ufers am Sportboothafen Düsternbrook. Er entschloss sich daher auszusteigen.
Nasser Ausstieg: In Anbetracht dessen, dass sein Seekajak mit voller Sitzluke und vollem Achterdeck halb unter Wasser trieb und bei dem rauen Seegang nicht mehr zu stabilisieren war, da es anfing um die Längsachse zu rotieren, trennte sich Eckehard von seinem Seekajak und versuchte an Land zu schwimmen. Jedoch stauchen sich in diesem Bereich der Förde die Wellen. Er erkannte schnell, dass die Wellen ihn stärker in Richtung Arsenalmole drückten, als dass er in absehbarer - und damit überlebbarer - Zeit ans Ufer gekommen wäre. Die kurze dreihundertfünfzig Meter Strecke hinüber zum Sportboothafen erschien auch unüberwindbar. Der Wellentransport war in der Richtung unbrauchbar, phasenweise nicht so stark, dafür aber überkippend. Die Wellen steilen sich dort unregelmässig auf. Dazu kommen noch die vielen vom Ufer reflektierte Wellen. Einzelne Wellen liefen auch voll durch und warfen ihn weiter in die Fördemitte.
Seenotalarm: Als er merkte, dass er nicht vorankam, holte er aus der Mesh-Tasche seiner Spritzdecke das Tag/Nachtsignal der Marke COMET und zündete es. Der etwa eine Minute lang ausgestoßene orange Rauch wurde sofort
vom Wind erfasst und wehte flach übers Wasser. Dank der Aufmerksamkeit eines Mitarbeiters des Institutes für Weltwirtschaft wurde aber die Notlage erkannt. Er alarmiert sofort die Wasserschutzpolizei. Zur Auslösung eines zweiten Seenotalarms kam Eckehard nicht mehr; denn inzwischen rückte das WaPo-Boot aus, ein fast 40 Knoten schneller Gleiter der 9m Klasse. Die Beamten fuhren Richtung See ..… in ca. 100 m Abstand an Eckehard vorbei! Im Wellensalat hatten sie keine Chance, den Schwimmer zu erblicken. Jedoch wurden dem aufmerksamen Beobachter an Land die prekäre Lage schnell klar. Er dirigierte übers Telefon das Boot zurück.
Zwischenzeitlich erkannte die WaPo, dass bei den Gewässerbedingungen ihr Boot kaum noch geeignet für solch einen Rettungseinsatz ist, wie sie auch in der Meldung bei der Zeitung KN-Online vermerkte. Sie löste daraufhin um 15:14 Uhr den Seenotalarm über die Seenotleitung (MRCC) Bremen aus. Daraufhin wurde sofort das 8,2 m kurze Tochterboot „Steppke" vom DGzRS Seenotrettungskreuzer „Berlin“ eingesetzt, welches bei acherlicher See von Laboe aus zum ca. 5 Seemeilen entfernten Notfallort „brummte“.
Retter vor Ort: Wir können nur ahnen, wie glücklich der allmählich frierende Eckehard war, als er das inzwischen gewendete WaPo-Boot auf sich zukommen sah. Aber er behielt seinen Notfallpäckchen fest bei sich, ahnend, dass die
Bergung bei dem örtlichen Seegang mit Klapotis und wiederum auch unregelmässig, aber kräftig einlaufenden, schiebenden höheren Wellen sehr erschwert sein würde. Der Steuermann des WaPo-Bootes agierte jedoch sehr ruhig & umsichtig und immer entschieden, den Schwimmer nicht durch den Schiffsrumpf seines Bootes zu gefährden. Immer wieder, auch wenn das Boot sich im idealen Winkel annäherte, wurde es urplötzlich von der See weggehoben & weggeschoben.
Deshalb wurde Eckehard angekündigt, dass in nur 10 Minuten das DGzRS-Boot mit Bergepforte eintreffen würde. Wer verdenkt es da dem im Wasser treibenden Kanuten, schneller an Bord kommen zu wollen. Nach einigen Anläufen des WaPo-Bootes, deren Erfolg immer im allerletzten Moment die See vereitelte, trösteten sie ihn: „Jetzt nur noch fünf Minuten bis zum Eintreffen der DGzRS!“ Doch die zunehmende Unterkühlung machte Eckehard, ein trainierter Rettungsschwimmer, ungeduldig: „Werft mir einen angeleinten Rettungsring zu und zieht mich rüber in die Bucht vor der Schwentinemündung. Dort ist der Seegang etwas ruhiger!“ Zugerufen und in die Tat umgesetzt: Mit Rückwärtsfahrt vor der See, den Schwimmer im Auge, die angreifenden Brecher im Auge, nahm das WaPo-Boot langsam und so vorsichtig Fahrt auf, dass Eckehard nicht durch zu viel Wasserdruck unter Wasser gezogen wird.
An Bord: Dann ging alles relativ schnell. Mit letzter Kraft kletterte Eckehard unter Mithilfe der Besatzung an Bord, was etwas beschwerlich war; denn zum einen war seine der Kälte ausgesetzte linke Hand recht kraftlos und zum anderen
hatten sich in den Beinen des Trockenanzugs jeweils mehr als 5 Liter Wasser angesammelt, Wasser, das beim Schleppen wegen des abnormen Wasserdrucks über die intakte Halsmanschette in seinen Trockenanzug gedrückt wurde!
+32,8° C: Insgesamt etwa 40 Minuten trieb Eckehard im eiskalten Wasser. Trotz Trockenanzug reichte das aus, um seine Körperkerntemperatur auf +32,8° C (lt. Messungen im Rettungswagen) sinken zu lassen. An Bord der WaPo setzte sofort sehr starkes, extremes Kältezittern ein. Trotzdem konnte er bald darauf – an beiden Schultern gestützt – von Bord gehen hinüber zum nahen Rettungswagen. Wegen der niedrigen Kerntemperatur wurde jedoch ein Notarzt nachgefordert. Danach ging es in die Klinik. Anschließend lief das volle „Anti-Unterkühlungs-Programm“ an mit Warmluftgebläse, Blutgasanalyse und Infusionen.
(Fazit folgt) (Ich danke dem Havaristen für die unzähligen sachdienlichen Hinweise!)
Gruß nach Kiel: Udo Beier
Was war passiert da auf der Kieler Förde?
Der Donnerstag, 18.1.18, war kein normaler Tag. Deutschland wurde vom Sturmtief „Friederike“ heimgesucht, was die Bundesbahn dazu veranlasste, sicherheitshalber die Fernzüge nicht mehr durch Deutschland fahren zu lassen. Auf dem Brocken wurden Orkanböen bis 150 km/h gemessen. Im Norden war es jedoch nicht so kritisch. Vormittags wehte es lt. WINDFINDER.de z.B. in der Kieler Innenförde noch mit 3-4 Bft. aus südöstlich, später nord-östlicher Richtung. Erst ab 12.30 Uhr nahm der Wind zu und wehte dann mit 5 Bft. aus nord-östlicher Richtung bis kurz vor 15.30 Uhr. Draußen am Kieler Leuchtturm blies es jedoch zur gleichen Zeit mit 6 Bft. aus Nord-Ost (in Böen: 7 Bft.). Die Wasserschutzpolizei selber sprach von 8er bis 9er Böen auf der Innenförde. Zwischen 10 Uhr und 15 Uhr sanken die Lufttemperaturen auf +1° bis 0° C und die Wassertemperaturen lagen lt. Institut für Meereskunde/GEOMAR bei +1°C und lt. WINDFINDER.de bei +3,5°C:
(Kieler Förde)
(Windmesswerte)
Auch für Eckehard, ein erfahrener Kieler Küstenkanuwanderer, waren das raue Bedingungen, aber nicht ungewöhnlich für ihn und seine Mitpaddlerin. Kurz vor 14 Uhr paddelten beide von ihrem Bootshaus in der Innenförde die Förde hinaus bis zum Wendepunkt in der Nähre des U-Boot Ehrenmals Möltenort , Tonne 12.
Zur Ausrüstung: Er paddelte einen „Nordkapp LV“ (540x53 cm) von VALLEY und sie ein bei achterlicher See besonders schnelles Kajak von REBEL: „Big Dog“ (540x57 cm). Er trug einen Trockenanzug mit Latexhalsmanschette , genügend
Unterbekleidung (bestehend aus Polypropyläen (CRAFT) plus 200-er Polartec-Unterziehkombi, lange AQUASHELL-Hose), Faserpelz-Kopfhaube und Wintermütze mit Ohrenklappen – alles in leuchtend gelb - sowie dicke Paddelpfötchen. Dazu kam eine auf Halbautomatik geschaltete 17kp rote Rettungsweste mit gelben breiten aufgenähten retroreflektierenden großen Streifen auf Brust und am Rücken in SOLAS-Qualität. Diese Weste der Marke BALTIC schaltet bei Auslösung eine innere Beleuchtung ein, so dass der gesamte Auftriebskörper wie ein heller gelber Gasballon leuchtet! Griffbereit, aber gesichert, hatte er einen PRIJON-Rollsack mit Griff, der als Paddelfloat geeignet ist. Darin befanden sich zwei große Rauchfackeln, eine Fallschirmseenotrakete und ein wasserdichtes Funkgerät (mit AIS-Distress-Taste und GPS) in schwimmfähiger Ausführung. In der Mesh-Tasche der Spritzdecke hatte er ein wasserfestes Tag/Nacht-Signal, an deren einem Ende eine kleinere Rauchfackel und am anderen ein Magnesium-Rotlicht integriert ist. Auf dem Deck fuhr er eine Seenotbake der Marke AQR „Aquarescue“ (mit GPS-Positionsübertragung und
Seefunkbakenfunktion für die Anpeilung), registriert bei der RNLI in London. Der Text, der dazu in London hinterlegt war, führte aber letztlich dazu, dass Eckehard es zunächst nicht einzusetzen gedachte, da dort seine Fahrtleiter- und Ausbilderfunktion vermerkt war und die Zahl der Mitpaddler mit bis zu weiteren 6 Personen angegeben war, was u.U. hätte dazu führen können, dass „Großalarm“ ausgelöst worden wäre.
6 km gegen Wind & Wellen: Zunächst paddelten die beiden Kanuten gegen den Wind und gegen die Welle. Als Wind & Wellen inmitten der Heikendorfer Bucht vor der Tonne 12 immer mehr zunahmen, hielt die Mitpaddlerin an und meinte, dass die 6 km Streckepaddeln für heute genügen müsse. Daraufhin begannen beide, zurück zu surfen.
„Surfing as usual!“: Das waren Gewässerbedingungen, bei denen jeder genug mit sich selber zu tun hatte, aber die schon so oft von beiden erlebt wurden, sodass keiner Bedenken haben musste, dass der andere bei diesen Bedingungen an seine „Grenzen“ stoßen würde. Also paddelte jeder vor sich hin. Jeder mit sich selbst und den überholenden Heckseen beschäftigt. Den Überblick konnte – immer bloß mal ganz kurz, augenblicksweise – nur der hinten fahrende Kanute behalten. Selbst beim Nebeneinanderherpaddeln kann man seinen Mitpaddler nicht mehr konstant im Auge behalten. Alle Aufmerksamkeit galt jetzt den von hinten anrauschenden Brechern und den manchmal quer dazu eintrudelnden Heckwellen vorbeifahrender Schlepper. Nur die Wahl der passenden Paddelschläge (einer Mischung aus Vorwärts-, Stütz- und Heckruderschlägen) musste reflexartig erfolgen; denn bei diesen Bedingungen galt es auf alle Fälle zu vermeiden, dass das Seekajak „ausbricht“ und quer zu den Brechern treibt. So kam es, dass Eckehards Mitpaddlerin nichts ahnend vorauspaddelte und die Surfritte genoss, aber auch die Brecher parieren musste, wenn das Kajak immer mal wieder den Wellenhang hinuntergerutscht war und quer zu den Wellen zu treiben kam. Halb genoss sie den Sport, halb verfluchte sie ihn, denn es war alles kraftraubend und mitunter heikel, denn die Rolle konnte sie noch nicht und das verunsicherte sie auch nicht, denn noch niemals war sie, auch nicht im Poloboot oder im Wildwasserboot, unfreiwillig gekentert. Ja, das Ganze war eine sehr sportliche Angelegenheit. Zeitweise gleiteten sie im Highspeed-Surf. Dann bricht das Boot aus, bremst ab.
Sie mussten die Brecher dann durch Stützen parieren und immer wieder das Seekajak mit viel Krafteinsatz auf den Kurs bringen, bis der nächste Surf beginnt.
Palette von achtern: Wie beide es gewohnt waren, baute sich eine zunehmende Distanz zwischen ihnen auf. Zudem musste Eckehard etwas Fahrt aus seinem Kajak nehmen; denn in Höhe Kitzeberg schwammen im Seegang allerhand Treibholz & Planken und grosse frisch gesägte Obstbaumteile vermutlich dänischer Provenienz herum und denen galt es auszuweichen. Plötzlich spülte inmitten der Brecher die Hecksee eines achterlich querenden Schleppers eine Holzpalette auf sein Achterdeck. Der Aufprall war so ungünstig, dass der ovale Lukendeckel von VALLEY sich löste und verloren ging. Hätte Eckehard nun die Ränder seines Valleydeckels - wie es empfohlen wird - sorgfältig in die Dichtkante „einmassiert“, wäre vielleichte nichts passiert, aber im Winter ist das eine mühsame, Fingernägel brechende Angelegenheit. Also verzichtet er darauf, zumal dadurch die Wasserdichtigkeit dieses Deckels nicht gefährdet war.
Wassereinbruch: Zunächst bemerkte Eckehard nicht den Verlust dieses Deckels, bis er feststelle, dass die Surfritte zunehmend langsamer wurden und schließlich ausblieben. Die Geschwindigkeit nahm rapide ab. Über die offene Achterluke begann sich der ca. 85 Liter umfassende hintere Stauraum seines 3-fach abgeschotteten Seekajaks schnell zu füllen. Auf halbem Wege zwischen der Tonne 4 und der 5 inmitten der Förde, etwa querab des Ostuferkraftwerkes, sackte schließlich das Heck ab und der Bug neigte zu Kerzen. Trotz alledem paddelte Eckehard weiter, nur brachte das keinen Streckengewinn in Richtung des nächstgelegenen Ufers am Sportboothafen Düsternbrook. Er entschloss sich daher auszusteigen.
Nasser Ausstieg: In Anbetracht dessen, dass sein Seekajak mit voller Sitzluke und vollem Achterdeck halb unter Wasser trieb und bei dem rauen Seegang nicht mehr zu stabilisieren war, da es anfing um die Längsachse zu rotieren, trennte sich Eckehard von seinem Seekajak und versuchte an Land zu schwimmen. Jedoch stauchen sich in diesem Bereich der Förde die Wellen. Er erkannte schnell, dass die Wellen ihn stärker in Richtung Arsenalmole drückten, als dass er in absehbarer - und damit überlebbarer - Zeit ans Ufer gekommen wäre. Die kurze dreihundertfünfzig Meter Strecke hinüber zum Sportboothafen erschien auch unüberwindbar. Der Wellentransport war in der Richtung unbrauchbar, phasenweise nicht so stark, dafür aber überkippend. Die Wellen steilen sich dort unregelmässig auf. Dazu kommen noch die vielen vom Ufer reflektierte Wellen. Einzelne Wellen liefen auch voll durch und warfen ihn weiter in die Fördemitte.
Seenotalarm: Als er merkte, dass er nicht vorankam, holte er aus der Mesh-Tasche seiner Spritzdecke das Tag/Nachtsignal der Marke COMET und zündete es. Der etwa eine Minute lang ausgestoßene orange Rauch wurde sofort
vom Wind erfasst und wehte flach übers Wasser. Dank der Aufmerksamkeit eines Mitarbeiters des Institutes für Weltwirtschaft wurde aber die Notlage erkannt. Er alarmiert sofort die Wasserschutzpolizei. Zur Auslösung eines zweiten Seenotalarms kam Eckehard nicht mehr; denn inzwischen rückte das WaPo-Boot aus, ein fast 40 Knoten schneller Gleiter der 9m Klasse. Die Beamten fuhren Richtung See ..… in ca. 100 m Abstand an Eckehard vorbei! Im Wellensalat hatten sie keine Chance, den Schwimmer zu erblicken. Jedoch wurden dem aufmerksamen Beobachter an Land die prekäre Lage schnell klar. Er dirigierte übers Telefon das Boot zurück.
Zwischenzeitlich erkannte die WaPo, dass bei den Gewässerbedingungen ihr Boot kaum noch geeignet für solch einen Rettungseinsatz ist, wie sie auch in der Meldung bei der Zeitung KN-Online vermerkte. Sie löste daraufhin um 15:14 Uhr den Seenotalarm über die Seenotleitung (MRCC) Bremen aus. Daraufhin wurde sofort das 8,2 m kurze Tochterboot „Steppke" vom DGzRS Seenotrettungskreuzer „Berlin“ eingesetzt, welches bei acherlicher See von Laboe aus zum ca. 5 Seemeilen entfernten Notfallort „brummte“.
Retter vor Ort: Wir können nur ahnen, wie glücklich der allmählich frierende Eckehard war, als er das inzwischen gewendete WaPo-Boot auf sich zukommen sah. Aber er behielt seinen Notfallpäckchen fest bei sich, ahnend, dass die
Bergung bei dem örtlichen Seegang mit Klapotis und wiederum auch unregelmässig, aber kräftig einlaufenden, schiebenden höheren Wellen sehr erschwert sein würde. Der Steuermann des WaPo-Bootes agierte jedoch sehr ruhig & umsichtig und immer entschieden, den Schwimmer nicht durch den Schiffsrumpf seines Bootes zu gefährden. Immer wieder, auch wenn das Boot sich im idealen Winkel annäherte, wurde es urplötzlich von der See weggehoben & weggeschoben.
Deshalb wurde Eckehard angekündigt, dass in nur 10 Minuten das DGzRS-Boot mit Bergepforte eintreffen würde. Wer verdenkt es da dem im Wasser treibenden Kanuten, schneller an Bord kommen zu wollen. Nach einigen Anläufen des WaPo-Bootes, deren Erfolg immer im allerletzten Moment die See vereitelte, trösteten sie ihn: „Jetzt nur noch fünf Minuten bis zum Eintreffen der DGzRS!“ Doch die zunehmende Unterkühlung machte Eckehard, ein trainierter Rettungsschwimmer, ungeduldig: „Werft mir einen angeleinten Rettungsring zu und zieht mich rüber in die Bucht vor der Schwentinemündung. Dort ist der Seegang etwas ruhiger!“ Zugerufen und in die Tat umgesetzt: Mit Rückwärtsfahrt vor der See, den Schwimmer im Auge, die angreifenden Brecher im Auge, nahm das WaPo-Boot langsam und so vorsichtig Fahrt auf, dass Eckehard nicht durch zu viel Wasserdruck unter Wasser gezogen wird.
An Bord: Dann ging alles relativ schnell. Mit letzter Kraft kletterte Eckehard unter Mithilfe der Besatzung an Bord, was etwas beschwerlich war; denn zum einen war seine der Kälte ausgesetzte linke Hand recht kraftlos und zum anderen
hatten sich in den Beinen des Trockenanzugs jeweils mehr als 5 Liter Wasser angesammelt, Wasser, das beim Schleppen wegen des abnormen Wasserdrucks über die intakte Halsmanschette in seinen Trockenanzug gedrückt wurde!
+32,8° C: Insgesamt etwa 40 Minuten trieb Eckehard im eiskalten Wasser. Trotz Trockenanzug reichte das aus, um seine Körperkerntemperatur auf +32,8° C (lt. Messungen im Rettungswagen) sinken zu lassen. An Bord der WaPo setzte sofort sehr starkes, extremes Kältezittern ein. Trotzdem konnte er bald darauf – an beiden Schultern gestützt – von Bord gehen hinüber zum nahen Rettungswagen. Wegen der niedrigen Kerntemperatur wurde jedoch ein Notarzt nachgefordert. Danach ging es in die Klinik. Anschließend lief das volle „Anti-Unterkühlungs-Programm“ an mit Warmluftgebläse, Blutgasanalyse und Infusionen.
(Fazit folgt) (Ich danke dem Havaristen für die unzähligen sachdienlichen Hinweise!)
Gruß nach Kiel: Udo Beier