Hallo Paddel-Leser,
Wer seiner Mitpaddlerin zu Weihnachten etwas Gutes schenken möchte (oder sich selbst beschenken will), kann das mit einem guten Buch tun. Ich selbst bekam es im Herbst von einem Forumsautor empfohlen, und las es mit Begeisterung.
Der erste Eindruck befremdet: beim Titel „... und über mir: der große Wagen“, denkt man an Lagerfeuer unter Bäumen, an das Schweigen der Nacht am Flußufer und nicht an das Wohnmobil des Titelbilds, das danach ruft, repariert zu werden. Erst auf den zweiten Blick kommt einem zu Bewußtsein, daß ja 90 % der Paddler mit dem Auto zum Fluß fahren, der Titel also nicht themenfremd ist. Und wenn man beim Blättern das erwartete Sternbild (mit Reiterlein!) entdeckt, versöhnt das mit dem Ersteindruck.
Auch sonst spielt Autor Helmut Paul mit Denkmustern. Hat er zuvor schon zwei Bergsteigerbücher und das Paddelbuch „Weltsicht aus der Froschperspektive“ geschrieben, berichtet er jetzt von Reisen, die nicht zwecks Bergsteigen und Paddeln gemacht wurden, sondern der Neugier auf Neues, auf andere Weltsichten, fremde Kirchen, Landschaften und Menschen wegen - mit Kletterseil und Paddel im Auto. Das Besondere daran: hier spricht jemand, der schon zwei Weltsysteme erlebte und mit diesen Erfahrungen jetzt das dritte sieht.
Paddelnd führt der Autor den Leser auf den rumänischen Fluß Mures, kletternd nach Spanien und Sizilien, im Auto von Norwegen bis Gibraltar durch ganz Europa (und weiter). Die den Kapiteln vorangestellten Karten zeigen, an welchen Orten die Geschichten spielen. Der Reiz liegt im Wiedererkennen der Situationen, der Begegnung mit Menschen und Menschlichem und in der Begeisterung, die Paul beim Betreten neuer Landschaften, Städte und Täler befällt und an den Leser weitergibt.
Der knappe, dichte Stil der Erzählungen, manchmal wie Novellen gestaltet, gestattet es, sie auch zwei- oder dreimal zu lesen: sie geben jedesmal Neues preis. Wüßte man nicht, daß der Autor im hohen Alter erst Rittlinger entdeckte, könnte man meinen, die zwei wären zusammen aufgewachsen. Doch auch wenn beide Sachsen sind, ihre Lebenswege liefen verschieden; eben das macht den Reiz aus. Paul mischt die charmante Ausdruckskraft Rittlingers mit dem tragischen Humor Charlie Chaplins; ich mag Geschichten, die mehrere Gefühle zugleich ansprechen. So seine Erlebnisse im Libanon und am bosnischen Paddelfluß Una, wo die Menschen – dem Deutschen befremdlich und doch wiedererkennbar – schweigend den Nachbarn belauern und in den wiederaufgebauten Städten auf den nächsten Krieg warten. Die Geschichte „Globalisierung“, mit der Paul uns aus dem Buch entläßt, führt einen nachdenklich in den Alltag zurück.
Wenn es etwas zu kritisieren gibt, dann das Format des Buches: zu fest, um es bequem zu in einer Hand halten, und zu groß für die Jackentasche. Das nächste Buch erbitte ich mir in etwas kleinerem Format! Es darf dafür ruhig dicker sein.
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Helmut Paul: ... und über mir: Der große Wagen. Reisegeschichten. Notschriften Verlag Radebeul 2017, ISBN 978-3-94581-53-0, 14.90 Euro, [www.notschriften.com]
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Viele Grüße
Gernot
PS. Ich bin mit dem Autor weder privat noch geschäftlich verbunden und erhalte durch die Rezension keinen Vorteil. Ich mag einfach gute Bücher.
Wer seiner Mitpaddlerin zu Weihnachten etwas Gutes schenken möchte (oder sich selbst beschenken will), kann das mit einem guten Buch tun. Ich selbst bekam es im Herbst von einem Forumsautor empfohlen, und las es mit Begeisterung.
Der erste Eindruck befremdet: beim Titel „... und über mir: der große Wagen“, denkt man an Lagerfeuer unter Bäumen, an das Schweigen der Nacht am Flußufer und nicht an das Wohnmobil des Titelbilds, das danach ruft, repariert zu werden. Erst auf den zweiten Blick kommt einem zu Bewußtsein, daß ja 90 % der Paddler mit dem Auto zum Fluß fahren, der Titel also nicht themenfremd ist. Und wenn man beim Blättern das erwartete Sternbild (mit Reiterlein!) entdeckt, versöhnt das mit dem Ersteindruck.
Auch sonst spielt Autor Helmut Paul mit Denkmustern. Hat er zuvor schon zwei Bergsteigerbücher und das Paddelbuch „Weltsicht aus der Froschperspektive“ geschrieben, berichtet er jetzt von Reisen, die nicht zwecks Bergsteigen und Paddeln gemacht wurden, sondern der Neugier auf Neues, auf andere Weltsichten, fremde Kirchen, Landschaften und Menschen wegen - mit Kletterseil und Paddel im Auto. Das Besondere daran: hier spricht jemand, der schon zwei Weltsysteme erlebte und mit diesen Erfahrungen jetzt das dritte sieht.
Paddelnd führt der Autor den Leser auf den rumänischen Fluß Mures, kletternd nach Spanien und Sizilien, im Auto von Norwegen bis Gibraltar durch ganz Europa (und weiter). Die den Kapiteln vorangestellten Karten zeigen, an welchen Orten die Geschichten spielen. Der Reiz liegt im Wiedererkennen der Situationen, der Begegnung mit Menschen und Menschlichem und in der Begeisterung, die Paul beim Betreten neuer Landschaften, Städte und Täler befällt und an den Leser weitergibt.
Der knappe, dichte Stil der Erzählungen, manchmal wie Novellen gestaltet, gestattet es, sie auch zwei- oder dreimal zu lesen: sie geben jedesmal Neues preis. Wüßte man nicht, daß der Autor im hohen Alter erst Rittlinger entdeckte, könnte man meinen, die zwei wären zusammen aufgewachsen. Doch auch wenn beide Sachsen sind, ihre Lebenswege liefen verschieden; eben das macht den Reiz aus. Paul mischt die charmante Ausdruckskraft Rittlingers mit dem tragischen Humor Charlie Chaplins; ich mag Geschichten, die mehrere Gefühle zugleich ansprechen. So seine Erlebnisse im Libanon und am bosnischen Paddelfluß Una, wo die Menschen – dem Deutschen befremdlich und doch wiedererkennbar – schweigend den Nachbarn belauern und in den wiederaufgebauten Städten auf den nächsten Krieg warten. Die Geschichte „Globalisierung“, mit der Paul uns aus dem Buch entläßt, führt einen nachdenklich in den Alltag zurück.
Wenn es etwas zu kritisieren gibt, dann das Format des Buches: zu fest, um es bequem zu in einer Hand halten, und zu groß für die Jackentasche. Das nächste Buch erbitte ich mir in etwas kleinerem Format! Es darf dafür ruhig dicker sein.
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Helmut Paul: ... und über mir: Der große Wagen. Reisegeschichten. Notschriften Verlag Radebeul 2017, ISBN 978-3-94581-53-0, 14.90 Euro, [www.notschriften.com]
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Viele Grüße
Gernot
PS. Ich bin mit dem Autor weder privat noch geschäftlich verbunden und erhalte durch die Rezension keinen Vorteil. Ich mag einfach gute Bücher.